Montag, 17. Mai 2004

Noh

Das Noh-theater, so hatte ich gehoert, soll das lethal-langweiligste Kulturgut Japans sein. Ein Schauspiel, welches durch seine laehmende Wirkung die Zuschauer in eine apathische Starre verfallen laesst, aus der nur hartgesottenste Japanologen herrausbrechen koennen. Die Moeglichkeit durch Freikarten dem Ereignis voellig kostenlos beiwohen zu koennen, hatte mich dann aber doch dazu verlockt, diesen kulturellen Kugelfisch zu schlucken. Gefahr ist schliesslich mein zweiter Vornahme und da hier sonst jeder lockere Pflasterstein sicherheitshalber grossraeumig abgesperrt wird, hielt ich es fuer ein angemessen gefaehrliches Abenteuer, den Besuch zu wagen. Das Noh-theater zeichnet sich durch archaische, in monotonem Rhythmus gesugene Sprache und streng choreagraphierte, laaaangsamen Bewegungen der wenigen, manchmal maskierten Schauspieler aus. Die "baseline" wurde durch zwei kreischende und trommelnde Hintergrundmusiker gebildet, die jeden Schrei und Trommelschlag zeitlich so lange ausdehnten, dass die entstehende Zaehigkeit des Vortrags mich, wie auch die Japaner, immer wieder in unwiderstehbaren Doeseschlaf verfallen liess. Sonst bringen mich ja nur Patho- oder Orthovorlesungen in diese Art der forcierten Somnolenz, hier aber wurde das schlummernde Publikum durch Fussstampfen oder Gongschlaege immer wieder aus der Trance zurueckgeholt, nur um die Peinlichkeit des ploetzlichen Aufschreckens zu erhoehen. Nachdem ich den ersten Akt ueberlebt hatte, war ich entschlossen das Stueck bis zum Ende druchzustehen, meine Uberlebensstrategie musste aber verbessert werden. So stoepselte ich mir dieses ausgeteilte Radio ins Ohr, ueber das eine tiefe, ebenfalls Ruhe ausstrahlende Stimme die Handlung, Kostueme und Urspruende waehrend des Stueckes live kommentierte. Trotz des modernen Japanisch hatte ich natuerlich keine Chance etwas zu verstehen, wurde aber von den bezirzenden Gesaengen akustisch geschuetzt. Zum Ende entstand dann doch noch so eine Art Handlung, als ein maskierter Geist in riesigem Kimono auftrat, den der Fuerst in einem Schwertkampf besiegte. Das muss man sich jetzt wieder deutlich undramaticher vorstellen, als es klingt. Die kaempfenden Charaktere fuehrten ihre Waffen in laehmender Langsamkeit, ohne Beruehrung gegeneinander, bis die strenge Choreographie den Sieg des Fuersten vage andeutete. Begeistert kann ich nur jedem an Insomnie leidenden Menschen empfelen, sich den Soundtrack eines Noh-stueckes zuzulegen, wer dabei nicht schlaeft, hat echte Probleme.





   
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